Prora im Nationalsozialismus – Propaganda vs. Realität
Wer zum ersten Mal vor dem Koloss von Prora steht, dem bleibt oft die Luft weg. Ein endloser Betonkomplex erstreckt sich direkt an einem der schönsten Ostseestrände Rügens – ein unheimlicher Kontrast zwischen natürlicher Schönheit und monumentaler NS-Architektur. Doch wie war Prora im Nationalsozialismus?
Hier wollten die Nazis ein riesiges Urlaubsparadies für „normale Leute“ bauen. Aber hinter der Fassade steckte viel mehr als nur ein netter Ferienort.
„Kraft durch Freude“ (KdF) und das Konzept der Freizeitkontrolle
1933 kam Hitler an die Macht, und schnell merkten die Nazis: Um die Menschen bei Laune zu halten, mussten sie nicht nur die Arbeit, sondern auch die Freizeit kontrollieren. Also gründeten sie „Kraft durch Freude“ (KdF) – eine Organisation, die plötzlich billige Urlaube für Arbeiter anbot. Eine clevere Strategie.

Die Idee war einfach: Zeige den Arbeitern, dass der Staat sich um sie kümmert, biete ihnen etwas, was sie vorher nie hatten – Urlaub! – und sie werden dem Regime dankbar sein. Viele Deutsche, die damals mit KdF verreisten, schwärmten noch jahrzehntelang von diesen Erlebnissen, selbst wenn sie politisch keine Anhänger des Regimes waren.
Das größte Hotel der Welt?
Prora sollte die Krönung werden: Ein gigantischer Ferienkomplex mit 10.000 Zimmern für 20.000 Urlauber gleichzeitig! Kaum vorstellbar. Die Prospekte und Plakate versprachen das Paradies: Moderne Zimmer mit Meerblick, riesige Speisesäle, Schwimmbäder, Kinos, Theater.
Als 1936 der Bau begann, war die Begeisterung groß. Endlich Urlaub am Meer – auch für diejenigen, die sich sowas nie leisten konnten! Die Zimmer waren mit knapp 12 Quadratmetern zwar nicht riesig, aber jedes hatte fließendes Wasser und Blick aufs Meer. Für damalige Verhältnisse ein echter Luxus.
Die Architektur von Prora war nicht nur funktional, sondern diente auch der nationalsozialistischen Propaganda.
Die harte Wahrheit
Doch was die wenigsten wussten: Der ganze Bau war ein propagandistisches Täuschungsmanöver. Während vorne die Betonblöcke hochgezogen wurden, fehlte hinten das Geld für die versprochene Ausstattung. Museumsmitarbeiter in Prora berichten, dass die meisten der geplanten Freizeiteinrichtungen nie über das Planungsstadium hinauskamen.
Als der Krieg 1939 ausbrach, war kein einziger Urlauber je in Prora gewesen. Stattdessen wurden die halbfertigen Gebäude zu Kasernen umfunktioniert. Soldaten statt Urlauber, Drill statt Erholung.
Man kann sich vorstellen, wie viele Bauarbeiter und einfache Leute sich auf einen erschwinglichen Ostsee-Urlaub gefreut hatten, nur um dann stattdessen in den Krieg geschickt zu werden.
Was davon übrig blieb
Nach dem Krieg nutzte die DDR die Anlage militärisch. Viele ältere Ostdeutsche kennen Prora nur als Ort, wo sie ihren Wehrdienst leisteten. Ehemalige NVA-Soldaten erzählen oft, dass sie damals keine Ahnung hatten, welche ursprüngliche Bedeutung der Ort hatte.
Wer heute durch die teilweise renovierten, teilweise verfallenen Gebäude läuft, spürt die Widersprüchlichkeit: Ein Ort, der Freude bringen sollte, aber nie sein Versprechen einlösen konnte.
Nach 1945 wurde Prora nicht für Freizeit genutzt, sondern diente als militärisches Zentrum der DDR.
Fazit: Ein gescheitertes Prestigeprojekt
Was Prora so beeindruckend macht: Es zeigt perfekt, wie der Nationalsozialismus funktionierte. Mit einer Hand gab das Regime den Menschen scheinbare Geschenke, während die andere Hand diese Geschenke für Kriegsvorbereitungen wieder wegnahm.
Das verfallene „Seebad“ ist wie ein steinernes Mahnmal für leere Versprechungen. Die Nazis wollten den Arbeitern weismachen, dass sie sich um ihr Wohlbefinden sorgten – in Wirklichkeit ging es nur um Kontrolle und Propaganda.
Besucher Rügens sollten unbedingt nach Prora fahren. Es gibt informative Führungen und ein aufschlussreiches Museum. An manchen Stellen sind noch die ursprünglichen Zimmer zu sehen – klein, funktional, mit Blick aufs Meer. Der perfekte Ort, um Geschichte zu verstehen, die man nicht nur aus Büchern kennt.
Übrigens wird Prora heute teilweise zu Luxus-Ferienwohnungen umgebaut. Es hat etwas Ironisches: Was als „Urlaub für alle“ geplant war, ist jetzt „Urlaub für die, die es sich leisten können“. Die Geschichte schreibt manchmal seltsame Wendungen.
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KDF_passenger_ship_Oceana.jpg